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Auszüge aus meinen "Hospital Diaries"
(…) Ich fülle den dreiseitigen Bogen des Narkosearztes aus. Standard. Schon Routine, könnte man sagen und muss mich trotzdem konzentrieren. Bei der Anmeldung bei manchen Ärzten schwindele ich und gebe nicht alles an. Aber deinen Anästhesisten lügst du nicht an, niemals! Ich überlege, zähle die Jahre nach, frage meine Mutter, ob sie die Frage auch bejahen oder eher verneinen würde. Rauchen Sie? Sind Sie schwanger? Wer sind ihre nächsten Verwandten, bzw. wer ist Ihr Notrufkontakt? Wann war der allergische Schock nochmal? Wie hieß das Medikament? Ich muss googeln. Dann komme ich bei einer Frage an, die mich ins Stocken bringt. Ich überlege genau, wann ich welche OPs bereits in meinem Leben hatte und ganz plötzlich fange ich an zu weinen. Nicht wegen der Tatsache, dass es so gekommen ist, sondern weil ich etwas literally vor mir sehe. Ich passe nicht auf dieses Normblatt. Meine Mutter legt mir die Hand auf meine Schulter.
„Was ist?“
„Ach nichts.“, sage ich und tippe auf die Antwortlinie. „Die ist nur einfach viel zu kurz für mich. Das passt da niemals alles hin.“
„Na beim nächsten Mal fragst du gleich nach einen zweiten Bogen.“ Meine Mutter zwinkert und ich muss lachen.
Es ist OP Nummer Neun und die zweite in dieser Woche. Von allen zusammen sind drei gefühlt zu viel gewesen. Eine war der Horror, eine andere rettete mich, eine habe ich unterschätzt. Wegen einer Diagnose nach einer OP zog ich um und wechselte den Arbeitgeber. Wieder eine andere hat mein komplettes Leben verändert und mich krank und schon oft wütend gemacht und eine andere muss ich eigentlich bald wiederholen. Doch ich schiebe sie heraus. Die Überweisung hängt bereits am Kühlschrank. Soll sie doch frieren, erstmal kommt diese hier, die Nummer Neun.
(…) Mein Bett Nachbar, hinter dem pinken Sichtvorhang brüllt von rechts in meinen Dämmer-Kopfbrei hinein, wann denn der Herr Doktor nun endlich käme. Ein Unding sei das. Und was nun mit seiner Frau sei. Die Schwester versucht zu beschwichtigen, erklärt der Herr Dok-tor würde seinen Job ausführen und gerade operieren. Sie reicht ein Tee durch den pinken Vorhang, dann ist Ruhe.
(...) Zwei Schwestern auf einmal versuchen mich zu beruhigen. Ich bittere und bekomme kaum Luft. Ich habe solche Angst vor dem Zug der Drainage. In meinem Kopf rechne ich die Drainagen zusammen, die mir bereits aus meinem Körper gezogen worden sind. Ich multipliziere sie mit einem subjektiven Schmerzfaktor, den ich auf einer Skala von 1-10 angeben muss, teile sie durch meine Lebensjahre und komme doch auf keine Lösung. Ich zittere und kralle mich an die Bettwäsche. Ich habe auch Angst vor Zahlen.
(...) Ich weiß nicht warum, aber ich muss dringend nach dem Erwachen aus der Narkose pinkeln. Dabei hatte ich seit Stunden nichts gegessen oder getrunken. Links und rechts neben mir liegen zwei Herren mit einer neuen Hüfte. Der links schnarcht. Ich sage der Schwester, dass ich muss.
Sie deutet auf den Tropf über mir: „Na kein Wunder, der is ja auch schon wieder leer, nech. Also, ich würd mich da nich‘ wundern an Ihrer Stelle. Ich hol’ denn man den Pott.“
Sie kommt mit einem schweren Nachttopf zurück und hilft mir beim Ausziehen. Ich habe Bauchschmerzen, so sehr drückt meine Blase. Aber es geht nicht. Der Mann rechts neben mir schreit wieder nach dem Arzt.
Das Pulsmessgerät an meinem Arm bläst sich plötzlich auf und piept. Ein junger Azubi bringt ein neues Bett in den Aufwachraum und unterhält sich mit seiner Kollegin. Die schaut kurz rüber, nickt zustimmend und sagt: „Feuer frei!“
Ich finde das irgendwie unangebracht. Es ist mir unangenehm. Der Mann links furzt im Schlaf und mir wird übel.
(…) Die Schwester kommt herein.
„Ihr Vater ist da“, sagt sie „Er will Sie abholen, aber vielleicht bringen Sie ihm mal bei, dass wir hier mit Menschen arbeiten?“
Ich schäme mich und gerate plötzlich in Stress, will mich schneller aus-und wieder anzuziehen. Aber ich komme nicht in meine Jogginghose. An meine Schuhe sind gar nicht zu denken. Hatte ich Socken dabei? Mir wird wieder schwindelig.
Die Pflegerin hilft mir und ich entschuldige mich für die Ungeduld meines Vaters.
Als ich vor die Klinik trete fährt lautlos sein SUV vor.
„Was dauert das denn so lange?“, fragt er mich durch das offene Fenster „Ich habe noch Termine.“
„Entschuldige bitte, dass ich nicht in deinen verfickten Terminplan passe“, sage ich. Die Fahrertür öffnet sich.
„Was brüllst du denn hier so rum?“ Er schaut sich um. Er schämt sich für meine Theatralik und nimmt mir endlich die Krücken und meine Tasche ab. Ich bin wütend, will ihn belehren, habe aber keine Kraft. Wir fahren los. Mein Vater greift hinter sich und wirft mir eine Tüte vom Bäcker auf den Schoss.
„Hier, du hast doch bestimmt Hunger, oder? Ich wusste nur nicht, nach welcher Stadt dir heute ist.“ Ich schaue in die Tüte. Er hatte einen Berliner und ein Franzbrötchen besorgt. (…)
(...) Ich halte das Glas der Heparinspritze vorsichtig zwischen zeige und Ringfinger und lege den Daumen auf den Abzug. Das Licht bricht sich in der Flüssigkeit in der Spritze. Ein Regenbogen verziert meinen Bauch und die blauen Flecken auf meiner Haut schimmern von Grün-gelb bis Rot-lila. Unglaublich, was ein Körper alles kann. Mit der anderen Hand kneife ich eine noch coleur-freie Bauchfalte zusammen. Ich hadere eine Weile. Es widerstrebt meinem Kopf etwas in mich hinein zu stechen. Dabei schmerzt es gar nicht, wenn ich die feine Nadel hineinstecke. Aber es brennt danach wie Feuer unter der Haut. Ich klopfe leicht auf der Einstichstelle und bete kurz zum Heparin-Gott, dass ich nicht wieder eine Thrombose bekomme. Welche Farbe der Kollege wohl hat?
(…) Ich ache auf dem Sofa meiner Mutter auf. Es zwickt und pocht unter meinem Verband. Ich habe wieder von dem Danach geträumt. Es sind keine zusammenhängende Träume, keine Geschichten. Eher kleine Fragmente, kurze Bilder, wie ein Wunschpuzzel, das jede Nacht wächst. Mal träume ich, dass ich wieder Rad fahren kann und düse die Schönhauser hinunter. Ich überhole alle Hipster-Muttis auf ihren Lastenrädern. Mal esse ich ein Eis an der Alster mit meinem Neffen. Ein anderes mal ziehe ich um und trage Kartons eine steile Treppe hinauf. Einmal stehe ich auf einer Klippe am Meer mit meiner Kamera in der Hand und spüre die Höhenangst in meinem Bauch kribbeln. Dann tanze ich auf einen Konzert. Ich weiß nicht wer spielt, höre keine Musik, aber ich springe immer wieder hoch, denn ein Dude mit Mütze versperrt mir die Sicht. Oder ich träume ich könnte wieder schwimmen gehen. Dann tauche ich aus einem See auf und hole oben tief Luft. Die Abendsonne reflektiert, ich kneife die Augen etwas zusammen. Ich hatte lange getaucht, denn mein Post-Covid-Lunge klopft und am Ufer wartest du und mein Bier.
(…) Ich schreibe wieder. Danke, Nummer Neun.
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